Das vorherrschende Gefühl der letzten Tage zum Thema Flüchtlingspolitik - wahlweise möchte man schreien oder heulen oder einfach am liebsten auf eine einsame Berghütte auswandern - lässt sich für mich am besten durch Machen beruhigen, irgendwie helfen, Hintern hoch und raus aus der Komfortzone und vor allem, mit eigenen Augen hinzuschauen. Also machte ich mich gestern auf den Weg Richtung Hamburger Messehallen, wo seit ca. zwei Wochen über 1000 Flüchtlinge untergebracht sind und in einer der Hallen in den letzten Tagen eine riesige Kleiderkammer entstanden ist (hier ein guter Artikel).
Schon in der Nähe des Liefer-Eingangs Menschen mit Taschen und Tüten, voll beladene Autos werden vom Pförtner durchgewunken, Menschen, die ihre Sachen schon abgegeben haben, kommen mir entgegen, nicken mir lächelnd zu, ein überwältigendes Gefühl der Solidarität und der Menschlichkeit überschwappt mich. Am Eingang dann freundliche Helfer, die jedem weiterhelfen, der Blick in die riesige Halle, wie ein kleines Logistikunternehmen, manche wollen nur was abgeben, viele wollen mithelfen, ich will beides und werde mit meiner Tasche voller Babypflegeprodukte (auf der facebook-Seite gibt es ständig neue Informationen, was gerade dringend benötigt wird) in die Drogerieecke geschickt, die freuen sich über meine Mitbringsel, ich helfe mit, Stoffbeutel für die Erstausstattung zu packen, aus jeder Kiste (Duschgel, Zahnpasta usw.) ein Stück, irgendwann ist das Deo alle und bei den Babytüten die Schnuller, wir müssen hier erstmal pausieren, ich versuche, mir bei der Kleidung einen Überblick zu verschaffen, Berge, und es kommen laufend neue Tüten, die Sachen werden ausgepackt, sortiert, Männer, Frauen, Shirts hier, Hosen da, und nach Größen, die Stapel werden dann weiter nach hinten getragen auf große Berge, zum Teil kann man nicht mehr erkennen, wo welche Größe hin soll, die Markierungen auf dem Boden sind von Klamotten überdeckt, die Sortierung vom Berg in große Kartons ist daher recht mühsam, ich sitze irgendwann im Blusenberg und sortiere Blusen nach kurzärmelig / langärmelig und den jeweiligen Größen, ist das jetzt ne Tunika oder ein Herrenhemd orrr und wieder keine Größe drin... nach 3 Stunden schwitze ich und hab nasse Hände in den Gummihandschuhen, dafür aber ein ganz gutes Sortiersystem entwickelt, es herrscht überall konzentriertes Arbeiten, immer wieder kommen neue Helfer vorbei, die irgendwas suchen oder bringen, irgendwann sind die Kartons alle, kurze Zeit später hat irgendjemand einen riesigen Stapel Umzugskartons besorgt, große Freude, in der Mitte die Verpflegungsstation, Getränke, Kaffee, belegte Brote, Nudelsalat, selbst gebackene Kuchen, Obst, Schokolade, so viel, und alles von engagierten Menschen vorbeigebracht... Ich war nur einen halben Tag dort, allein das reicht aus, um sich von dieser positiven Stimmung anstecken zu lassen, sich weiter engagieren zu wollen, jeder kann dort vorbeischauen, mithelfen, einen klitzekleinen Beitrag leisten. Ich finde großartig, was die Organisatoren - und zwar alles Privatpersonen - dort auf die Beine gestellt haben und jeden Tag leisten. Und dann kommt man nach Hause, sitzt in seiner eigenen Küche, voller Nachdenklichkeit, Demut und Dankbarkeit, dass es einem so gut geht, einfach nur, weil man hier geboren ist. Nie fand ich den neuen IKEA-Katalog im Briefkasten belangloser als heute. Stattdessen backe ich Schokokekse, die ich am Wochenende bei der Kleiderkammer vorbei bringen will, bin neugierig, wie die Halle dann aussieht, heute sollen von Helfern Holzleistenkonstruktionen gebaut werden, um das Sortieren übersichtlicher zu machen...
Es ist so einfach, Stellung zu nehmen, durch Worte, Taten, Spenden.
Viele gute Informationen und Spendenmöglichkeiten findet man auf der Webseite blogger-fuer-flüchtlinge.
Spenden speziell für Hamburg kann man hier.
In manchen Supermärkten/Drogerien kann man einfach Produkte kaufen und in bereitgestellte Kisten packen, die dann weitergeleitet werden, in Hamburg z.B. bei Budni oder Edeka Niemerszein.
Schön finde ich die Idee der Welcome-Dinner.
Dieser Text, so gut.
Ich wünsche ein schönes Wochenende. Und hier noch ein Lied.
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Micha (Freitag, 28 August 2015 17:57)
Hier von unserer Insel aus gehts mir wie dir - manchmal will ich mir Augen und Ohren zu halten. Und ich mag dieses Geschreibsel nicht von wegen Solidarität. Papier ist ja so geduldig. Schreiben, sagen kann man viel. Aber: Es gibt nichts Gutes, außer man tut es. Jetzt ist eine prima Gelegenheit, das zu leben. Hier ist alles noch weit weg. Keine Flüchtlinge zu sehen. Nirgends. Und doch sind sie in meinen Gedanken. Und bringen Elend, Leid und Krieg sehr nahe. Beängstigend. Ich möchte dir damit eigentlich nur sagen: toll, dass du dich auf den Weg gemacht hast, um zu TUN! Mehr als tausend Worte! Finde ich großartig - von hier, von unserer Insel, (noch) weltabgewandt...